Erfrischung der Natur
WALDBADEN – in Bad Hofgastein ist der Name Programm.
Früher machte man einen Waldspaziergang. Seit die Japaner das Waldbaden erfunden haben, schwarteln auch wir ehrfurchtsvoll durch Farnhaine und plüschige Moosterrassen. Gleich hinter dem Hotel Blü in Bad Hofgastein verspricht die Wasserfallgasse nicht nur einen netten Spaziergang, sondern auch gleich Erfrischung an heißen Sommertagen, romantische Blätterdächer im Herbst, und selbst bei Nieselregen erfrischende Aussichten.
Ausgestattet mit einem gagerlgelbem Blü-Regenschirm macht sich die Exil-Wienerin in nicht alpiner Ausrüstung auf, dem Wasserfall einen Besuch abzustatten. Schwarze, stadterprobte Turnschuhe an den Füßen, mal schauen wie weit man damit kommt. Es geht moderat bergauf, alles asphaltiert, ein Klacks. Je weiter oben, desto skurriler werden die Häuser. Ein alter Hof wartet mit einem quadratischen Mini-Marterl* auf, dessen fantasievolle Devotionalien meinen Blick fangen: ein weißes Porzellansparschwein, ein Flussstein, eine schwarzmatte Bierflasche. Leer. Darauf prangt ein weißes, blumenumranktes Kreuz, drunter die Inschrift 1791: Dies Irae – Tag des Zorns. Um den Flaschenhals baumeln der Stoppelkorken und ein Rosenkranz. Daneben lächelt milde ein weißer Porzellanelefant. Versteckt in der zweiten Reihe sitzt auf einem Grablicht ein gestrickter brauner Teddybär mit roter Latzhose. Über dem Fenster hängt ein altes, mir nicht bekanntes bäuerliches Arbeitsgerät, daran sind einige Rosenkränze fein säuberlich aufgeknüpft. On Top ein alter Basketballkorb. Dieses Stillleben übt eine unerklärliche Magie aus, es gibt mir Rätsel auf.
Ich reiße mich los und aus den spekulativsten Fantasiegebilden, wer die Gegenstände irgendwann mal dort platziert haben könnte und schlendere unter meinem gelben Schirm mitten hinein ins vom Regen nasse Grün. Wie frisch lackiert sehen Farne, Gräser und Blätter aus. Wohltuend sind die verschiedenen Grüntöne, die Ruhe, die hohe Luftfeuchtigkeit. Ich merke, wie mein ganzer Organismus ausatmet. Und dann ist da auch noch das konstante Rauschen des Wassers, das mich zu meiner Rechten stürmisch begleitet. Es stürzt aus den Felsen herab, bildet hin und wieder Terrassen, wo es sich an heißen Tagen bestimmt herrlich aushalten lässt. Ich sehe mich schon in meinem roten Badeanzug im eiskalten Wasser zwischen vom Wasser rund geschliffenen Steinen plantschen. Der Wasserfall in Bad Hofgastein - ein öffentliches Kneippkurhaus ohne Eintritt, ganzjährig geöffnet.
Hochkonzentriert schreitet die Flachländerin die vom Regen etwas gatschigen, aber mit Holzgeländern sehr gut gesicherten Wegerl bergan. Kleine Steigungen ganz nach meinem Geschmack, und immer wieder schöne Platzerl und Bankerl, wo man halten muss, um einfach nur zu schauen und zu staunen. Über die Kraft der Natur, die ihren Willen durchsetzt ohne uns um Erlaubnis zu fragen. Grüntöne in allen Schattierungen, schäumende Wasserwirbel. Eine Wohltat für lichtverseuchte, von Bilderreklameflut gemarterte Großstadtäuglein.
Über massive Metallstiegen geht es aufwärts und über eine Brücke den gegenüberliegenden Hang hinauf. Immer im Schatten hoher Bäume. Nur mit Mühe widerstehe ich der Versuchung (Bergschuhe wären kein Fehler gewesen), den befestigten Weg zu verlassen, um mich einem weiter oben residierenden Riesen an seine moosbekleidete Brust zu werfen. Wie viele Sommer der wohl schon gesehen hat?
Vögelchen sausen durch die Lüfte, ich komme zu einer lichten Stelle, wo man den ganzen Ort überblicken kann. Nach einigem Suchen entdecke ich die grüne Dachterrasse vom Blü, dann stapfe ich weiter. Der Weg endet an einem Holzgatter, dahinter führt ein schmaler, unbefestigter Grat ohne Holzgeländer weiter. Ich beschließe, umzudrehen. Wasser hatte für mich immer schon mehr Anziehungskraft als Almwiesen. Zurück geht es gefühlt viel schneller, noch immer nieselt es durch das dichte Blätterdach, aber das stört mich unter meinem Schirm wenig. Ich war vielleicht eine Stunde im Wald unterwegs, fühle mich aber erfrischt wie nach einem erholsamen Mittagsschlaferl. Die Japaner mögen Sushi, flotte Motorräder und Spitzenklaviere erfunden haben, in punkto Waldbaden machen sie den Bad Hofgasteinern aber rein gar nichts vor.
*Der österreichische Ausdruck „Marterl“ bezeichnet einen Bildstock am Wegesrand; ein so genanntes religiöses Kleindenkmal.
©Verena Göltl